Politik – Religion – Kommunikation. Die schmalkaldischen Bundestage als politische Gesprächsplattform

Politik – Religion – Kommunikation. Die schmalkaldischen Bundestage als politische Gesprächsplattform

Organisatoren
Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.09.2019 - 12.09.2019
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Von
Saskia Jungmann, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Europaweite Unikalität und seine Bedeutung für die Reformation und die Formung der Reichsverfassung sprechen für eine fortwährende Beforschung des Schmalkaldischen Bundes. Im Rahmen der Mainzer Tagung wurde dieser Forderung durch eine Neuperspektivierung des frühneuzeitlichen Gebildes Rechnung getragen. Die einleitenden Worte Jan Martin Lies᾽ fassten zusammen, wie die versammelten BeiträgerInnen die Schmalkaldischen Bundestage als Kommunikationsplattform und Organ des zentralen frühneuzeitlichen Zusammenschlusses neu beleuchten. Beiträge zur Außenperspektive sollten die Bedeutung der Bundestage auf Reichs- und europäischer Ebene herausarbeiten und dem nicht eindeutig umrissenen Quellenbegriff Inhalt und Schärfe verleihen. Ergebnisse zur Innenperspektive der Bundestage waren als ergänzende Perspektiven auf Reformation und innerbündisches Konfliktmanagement vorgesehen.

Der für die Tagung zentrale Ausdruck des Vergleichs beherrschte immer wieder die quellenbasierten Diskussionen und zentrierte die erste Sektion. BEATE KUSCHE (Leipzig) widmete sich dem übergeordneten Untersuchungsgegenstand frühneuzeitliches Bündnis und thematisierte das Wortfeld des Bundes wie Einung, Bund, Bündnis und Landfriedensbund sowie theoretische Agitationsmöglichkeiten dieser Formen in und mit dem Reich. Grundlegend wurde für die Untersuchung der Schmalkaldischen Bundestage festgehalten, dass moderne bündnistheoretische Perspektiven der zeitgenössischen inhaltlichen Vermengung der Begrifflichkeiten widersprechen.

ULRIKE LUDWIG (Leipzig) schloss mit einem Blick in die Entstehungsgeschichte des Schmalkaldischen Bundes an. Ausgehend von einem Gutachten Albrecht von Mansfelds, welches jener in Anbetracht möglicher Übergriffe der altgläubigen Reichsstände anfertigte, zeichnete sie die Etappen der frühen evangelischen Bündnisgespräche nach. Nach der erneuten Festschreibung des Wormser Ediktes 1524 wirkten die Aktivitäten der altgläubigen Stände als Katalysator für die Verständigungsbestrebungen der Evangelischen. Der Gothaer/Torgauer Vertrag zwischen Landgraf Phillip von Hessen und Kurfürst Johann von Sachsen wurde 1526 Grundlage für Bündniserweiterungen und kann als Keimzelle des späteren Schmalkaldischen Bundes angenommen werden.

Im Anschluss reicherte GEORG SCHMIDT (Jena) die Vorüberlegungen um das Spannungsfeld Bund und Reich an. Ausgangspunkt war das differenzierende Verfassungsverständnis der religionspolitischen Machtblöcke im Reich. Aus Sicht der altgläubigen Stände schien die Reformation ein Angriff auf Glauben und Einheit im Reich gleichermaßen. Seitens der Bundesgenossen führte deren Auffassung und Auslegung der Reichsverfassung zu einem differenzierenden Reichsverständnis, das sich im prokriegerischen Libertätsargument gegenüber dem Reichsoberhaupt zeigte. In der Folge wirkte der Bund als Initiator einer Verfassungsinterpretation, die die Entstehung einer durch Karl V. anvisierten Zentralmonarchie blockierte, dessen Machtausweitung im Reich zurückdrängte und den protestantischen Fürstenstaat ermöglichte.

HORST CARL (Gießen) schloss die Sektion mit dem Schwäbischen Bund als „untauglichem Muster“ und Vergleichsobjekt ab. Die Gegenüberstellung, etwa auf Ebene des Konfliktaustrags, brachte nicht nur auf verfassungsgeschichtlicher Ebene wenig Gemeinsames hervor. So können Prozesse der Entscheidungsfindung innerhalb Schmalkaldischer Bundestage eher als Gegenmodell zum Vorgehen des Schwäbischen Bundes gesehen werden, der etwa durch Einsatz eines Schiedsgerichtes strukturiert wurde. Grundsätzlich unterschieden sich beide Gebilde in der Kommunikationsstruktur der Bundestage und in dem Verhältnis von Bundestag und Kriegsrat – beim oberdeutschen Muster war das Kriegswesen durchaus nachgeordnet –; nur bei der Organisation des Krieges sind durch deren Weiterentwicklung im Schmalkaldischen Bund Parallelen erkennbar.

Die zweite Sektion eröffnete JAN MARTIN LIES (Mainz) mit einem Beitrag zu den Schmalkaldischen Bundestagen als Plattformen diplomatischen Agierens mit der kaiserlich-königlichen Partei. Trotz des Machtvakuums im Reich waren die Schmalkaldischen Bundestage der 1530er Jahre keine Orte der Kommunikation zwischen Bundesgenossen und Reichsoberhaupt. Auch eklatante diplomatische Vorfälle des Bundestages 1537 gegenüber Vizekanzler Matthias Held durch die Bundesmitglieder sorgten dafür, dass auch die Schmalkaldener nur zwei Mal Gesandtschaften entsandten. Jedoch muss der Frankfurter Bundestag 1539 durch den ersten und einzigen Besuch von kaiserlichen Diplomaten wiederum als herausgehobenes Ereignis betrachtet werden.

Daran anknüpfend vertiefte CHRISTOPHER VOIGT-GOY (Mainz) durch seine Untersuchung des Frankfurter Bundestages und Anstandes 1539 die Perspektive auf das Innenleben des Schmalkaldischen Bundes. Die aufregenden inhaltlichen Verhandlungspunkte des Bundestages (so wurde etwa über Friedensverlängerungen aufgrund möglicher Truppenbewegungen der Altgläubigen beraten) stehen im Kontrast zu schlichten zeitgenössischen Berichten wie jenem Johann Fischers. Das Einbrechen der verhandelten Maximalforderungen der Schmalkaldener verhinderte indessen nicht die Unterzeichnung des Frankfurter Anstandes. Offen bleibt, ob der Bund in Frankfurt als eigenständiges reichspolitisches Element auftrat oder Interessen einzelner Mitglieder im Vordergrund standen.

KLAUS UNTERBURGER (Regensburg) wechselte den Blickwinkel und versuchte eine Charakterisierung des Bundes aus Sicht der altgläubigen Reichsstände. Die katholische Aktionspartei einte ihre Sichtweise auf die Reformation als „Aufruhr und Ungehorsam, welcher zur Zerrüttung aller Ordnung führen müsse“. In ihren Handlungsoptionen gegenüber dem Bund spiegelten sich jedoch auch differenzierende Perspektiven auf diesen wieder. So machte das Herzogtum Bayern, das sich im Saalfelder Bündnis noch mit Kursachsen gegen die Königswahl Ferdinands zusammengeschlossen hatte, erst nach akuter Bedrohungssituation durch die Wiedereinsetzung Herzog Ulrichs in Württemberg vermehrte Versuche der Zersplitterung des Bündnissystems und changierte zwischen antikaiserlicher und pro-schmalkaldischer Bundespolitik. Der Perspektivenwechsel machte erneut deutlich, dass eine Trennung von Religion und Politik innerhalb dieses Themenfeldes nicht vorgenommen werden kann.

Neueste Ergebnisse zur europaweiten Bedeutung der Bundestage in den 1530er und 1540er Jahren stellte HARRIET RUDOLPH (Regensburg) vor. Für Überlegungen zur europäischen Wahrnehmung des Bundes sind zunächst dessen diplomatische Akteure zu differenzieren. Am Beispiel der Politik gegenüber Heinrich VIII. von England vollzog Rudolph nach, wie sich diplomatische Praktiken der Schmalkaldener an deren Ziele anpassten. Ab Mitte der 1530er Jahre werden Räume der europäischen Diplomatie durch die Verhandlung mit ausländischen Gesandtschaften auf den Bundestagen sowie die Entsendung eigener Gesandte greifbar. Dennoch sei, nicht zuletzt durch fassbare Versuche der Bundesmitglieder zur Instrumentalisierung des Bundes für eigene diplomatische Zwecke, keine einheitliche diplomatische Funktionslogik gegenüber anderen europäischen Mächten erkennbar.

Die Sektion schloss ARMIN KOHNLE (Leipzig) mit der Thematisierung der Konzilsfrage auf den Schmalkaldischen Bundestagen. Nach dem Scheitern einer ersten ernsteren Konzilsinitiative, die päpstliche Gesandte im Juni/Juli 1533 am Weimarer Hof vorgebracht hatten, kam es unter Papst Paul III. auf dem Schmalkaldischen Bundestag 1535 erneut zur Diskussion der Konzilsfrage durch die Bundesgenossen, die sich in beidseitiger Kompromisslosigkeit zerstreute. Zwei Jahre später berieten die Bundesgenossen wieder erfolglos über die Beschickung des in Mantua einberufenen Konzils. Dennoch brachte die Konzilsdiskussion die Bekenntnisbildung der Bundesgenossen voran und sorgte für die Demonstration von Einigkeit nach außen und den Zulauf neuer Mitglieder.

THOMAS LAU (Fribourg) schlug durch die Auslotung mächtiger und mindermächtiger Mitglieder die Brücke zur dritten Sektion, die sich der Bundestage als Aushandlungsorte einer „evangelischen Politik“ annahm. Die Betrachtung des Bundes als Ort der Konfliktaustragung zwischen Reichsstädten und Territorialherren zeigte, wie das Eintreten eines gegenseitigen Sicherungssystems für die Mitglieder nicht nur militärischen Schutz versprach, sondern auch eine Erhöhung ihres reichspolitischen Gewichtes. Reichsstädte wie Nürnberg oder Konstanz genossen durch ihre von den Reichsfürsten dringend benötigten finanziellen Mittel privilegierte Positionen gegenüber weiteren Bundesmitgliedern, was ihnen im Gegenzug, etwa durch Wahlgremien, eine bisher nicht dagewesene realpolitische Beteiligung eröffnete.

CHRISTIAN WITT (Mainz) eröffnete das dritte Untersuchungsfeld mit begriffsgeschichtlichen und institutionstheoretischen Überlegungen. Er zeichnete nach, wie der Ausdrucks „Protestanten“ nach seiner Nutzung im öffentlichkeitswirksamen Reichstagskontext 1529 sowohl als medienwirksame und identitätsstiftende Selbstbezeichnung durch die Nichtaltgläubigen gebraucht wurde. Spätestens während des Schmalkaldischen Krieges ging der Ausdruck in das volkssprachliche Repertoire über, was die Selbstinszenierung der nichtaltgläubigen Aktionspartei als Protestanten auf politischer wie konfessioneller Ebene immer mehr befeuerte.

Im Anschluss wagte STEFAN MICHEL (Leipzig) einen Sprung zur Kirchengüterfrage auf den Schmalkaldischen Bundestagen. Er verwies darauf, dass die Diskussionen über den Umgang mit dem Kirchengut in engem Zusammenhang mit der Formung der reformatorischen Landeskirchen aus ihren spätmittelalterlichen Vorläufern zu sehen sind. Die vermehrten Diskussionen der Schmalkaldischen Bundesgenossen ab 1537 zeigen, dass die Debatte die Einheit der Evangelischen im Reich keineswegs bestärkte. Laufende Reichskammergerichtsprozesse der Bundesgenossen wie der Stadt Minden forderten redundante theologische Gutachten ein, die die endgültige Verfügungsgewalt letztlich doch den jeweiligen Landesherren zuschrieben.

KONSTANTIN ENGE (Leipzig) schloss die Tagung mit seinem Beitrag über das problematische Verhältnis der albertinischen Herzöge zum Schmalkaldischen Bund. Vor allem unter der Regierung Herzog Heinrichs des Frommen von Sachsen kam es nach dessen Beitritt zum Bundesvertrag, jedoch nicht zur Bundesverfassung der Schmalkaldener, zur Zuspitzung von Konfliktfragen wie der Zahlung von Anlagen und Befugnissen der Bundeshauptmänner. Die Politik Heinrichs gegenüber Bund und Bundesgenossen ist so als Vorbereitung des Bruches der wettinischen Linien im Schmalkaldischen Krieg unter seinem Sohn Moritz anzunehmen.

Die versammelten Vorträge zu Kontext, Binnenstrukturen sowie reichs- und europaweitem Handlungsspielraum der zentralen Vereinigung Schmalkaldischer Bund wiesen die Möglichkeiten neuer Perspektiven auf diese Form religionspolitischer Kollektivität im 16. Jahrhundert aus. Die Verzahnung von Religion und Politik innerhalb des Untersuchungszeitraumes ist insofern auch bei weiteren Untersuchungen immer miteinzubeziehen. Vor allem im Hinblick auf das reichsweite Agieren des Bundes und darüber hinaus zeigten sich Forschungsdesiderate, die eine Bearbeitung fordern. Das wiederholte Anklingen von Fragen politischer Alltagsgeschichte wie der Organisation und Anreise zu den Bundestagen und Aspekten der Prachtentfaltung der Akteure wies ebenfalls auf Möglichkeiten der Verknüpfung von macht- und religionspolitischen Forschungsperspektiven und materieller Kultur- und Konsumforschung hin. Eine Publikation der Beiträge wird zeitnah angestrebt.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Vorüberlegungen

Beate Kusche (Leipzig): Bund, Einung, Erbverbrüderung – Bündnisse im Heiligen Römischen Reich am Beginn der Frühen Neuzeit

Ulrike Ludwig (Leipzig): Von Magdeburg nach Schmalkalden. Bündnisgespräche unter den Evangelischen Ende der 1520er Jahre

Georg Schmidt (Jena): Der Schmalkaldische Bund und das Heilige Römische Reich deutscher Nation

Horst Carl (Gießen): Ein untaugliches Muster? Die Schwäbischen Bundestage im Vergleich

Sektion 2: Die Bundestage, das Reich und Europa

Jan Martin Lies (Mainz): Akteure und Gesprächsplattformen. Die schmalkaldischen Bundestage und die kaiserlich-königliche Diplomatie

Christopher Voigt-Goy (Mainz): Der Bundestag und der Anstand von Frankfurt 1539

Klaus Unterburger (Regensburg): Die Bedeutung der Bundestage für die altgläubigen Reichsstände

Harriet Rudolph (Regensburg): Akteure, Räume und Funktionslogiken der Diplomatie. Die schmalkaldischen Bundestage und die europäischen Mächte

Armin Kohnle (Leipzig): Die Bundestage und die Konzilsfrage

Sektion 3: Die Bundestage als Aushandlungsort einer „evangelischen Politik“

Christian Witt (Mainz): Tradition, Identität, Selbstbezeichnung. Begriffsgeschichtliche und institutionentheoretische Überlegungen

Stefan Michel (Leipzig): Die Einheit der Evangelischen im Reich: Die Kirchengüterfrage auf den Bundestagen

Sektion 4: Die Bundestage als Ort des Konfliktaustrags innerhalb des Bundes

Konstantin Enge (Leipzig): Zwischen Mitgliedschaft und eigener Interessenpolitik. Das problematische Verhältnis der albertinischen Herzöge zum Schmalkaldischen Bund

Thomas Lau (Fribourg): Wer zahlt bestimmt? Die Reichsstädte und die Territorialherren im Bund


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